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Der Titel klingt optimistisch. Es bedarf aber schon einer geballten Ladung positiver Energie, um an Ende des Romans Sag allen, es wird gut! wie die Ich-Erzählerin zu einem solch freudigen Ausruf zu gelangen. Denn zuvor hat sie uns mitgenommen auf eine sehr plastische Reise durch die Großstadthölle von Lagos und durch drei Jahrzehnte der allein an Rückschlägen reichen postkolonialen Geschichte Nigerias. Dass es der Autorin dabei gelingt, trotz aller geschilderter Widrigkeiten glaubhaft das Gefühl von Lebensfreude und Zukunftsmut bis zur letzten Seite zu transportieren, ist das vielleicht größte Verdienst Sefi Attas in diesem Werk.

Sefi Atta, geboren 1964 in Lagos, wanderte 1994 in die USA aus und begann dort, literarische Werke zu veröffentlichen. Mit diesem ihrem ersten Roman von 2005 – Originaltitel: Everything Good Will Come – gewann sie den Wole Soyinka Prize for Literature in Africa. In deutscher Übersetzung erschien von ihr zuletzt 2022 der Roman Ein sonderbarer Immigrant. Nicht selten wird Sefi Atta hierzulande in einem Atemzug mit ihrer Landsfrau Chimamanda Ngozi Adichie genannt. Dass Sag allen, es wird gut! nicht dieselbe Breitenwirkung erzielte wie Adichies Romane, hat allerdings Gründe.

Realitätsnahes Bild vom Leben in Lagos

Denn, ganz ehrlich, etwas anstrengend ist es schon, was Sefi Atta alles an Themen und Problemen in ihren Roman hineinpackt. Anstrengend und problematisch, wie das Leben in Lagos nun mal ist, könnte man sagen. Davon vermittelt Sefi Atta dem Leser ein breites, realitätsnahes Bild jenseits von Klischees, und zwar anhand eines formal eher konventionell erzählten Bildungs- und Familienromans rund um zwei gegensätzliche Freundinnen aus der (gehobenen) Mittelschicht.

Da ist auf der einen Seite die Ich-Erzählerin Enitan, behütete Tochter eines Rechtsanwalts. Der aufgeklärte, christliche Vater, der vor Gericht auch verfolgte Menschentechtsaktivisten vertritt, erzieht sie prinzipiell zur selbstbewussten, emanzipierten Frau, die später einmal seine Kanzlei übernehmen soll – was, wie sich zeigen wird, nicht bedeutet, dass er selbst patriarchalen Verhaltensschemata abgeneigt wäre: Er hat jahrelang einen außerehelichen Sohn verschwiegen. Enitans Mutter hat sich, nachdem ihr zweites Kind schwer erkrankt und gestorben ist, in einen religiösen Fanatismus geflüchtet. Die Ehe der Eltern wird zerbrechen, Enitan ein Leben lang zwischen Mutter und Vater stehen.

Als Teenager lernt das angepasste Mädchen am Gartenzaun die frühreife, kokette Sheri kennen. Sie lebt in gänzlich anderen Verhältnissen, in einer muslimischen Großfamilie, in der Polygamie gepflegt wird, sodass zwei Stiefmütter sich um sie kümmern. Ihre leibliche Mutter, eine weiße Engländerin, kennt Sheri nicht. Aus der Sicht von Enitans Eltern ist die wilde Sheri kein guter Umgang. Sie verbieten Enitan den Kontakt mit dem Nachbarsmädchen. Das ändert nichts an der lebenslangen Freundschaft der beiden.

Roman über lebenslange Freundschaft

Diese wird in vier Kapiteln erzählt, die 1971, 1975, 1985 und 1995 spielen. Die ersten beiden davon, die für Kindheit und Teenagerzeit der Mädchen stehen, enden damit, dass Sheri auf einer Party, die sie und Enitan heimlich besuchen, vergewaltigt wird und der Kontakt zwischen den Mädchen daraufhin abbricht.

Als sie sich zehn Jahre später wiedertreffen, ist Enitan nach einem Studium in England nach Nigeria zurückgekehrt und absolviert eine Art freiwilligen Militärdienst, bevor sie in die Kanzlei des Vaters einsteigt. Sheri ihrerseits ist mittlerweile eine ehemalige Miss Nigeria, die sich als Geliebte eines ranghohen Militärs aushalten lässt, für den sie sich selbst und allerlei kulinarische Genüsse in einer komfortablen Wohnung allzeit bereit hält. Enitan ist von diesem Lebensmodell entsetzt, Sheri sieht die Sache desillusioniert und pragmatisch.

Letztlich ermutigt Enitan ihre Freundin allerdings doch zu einem selbstbestimmten Leben, hilft ihr, sich in einem Erbstreit gegen entferntere männliche Verwandte durchzusetzen. Auf dieser Basis kann Sheri in ihrem Elternhaus zusammen mit den Stiefmüttern und anderen Familienmitgliedern einen erfolgreichen Cateringservice aufbauen.

Enitan durchläuft derweil eine romantische Beziehung mit dem Künstler Mike, die jedoch damit endet, dass er sie betrügt. Später lernt sie in Niye einen bodenständigen Mann zum Anlehnen kennen und heiratet ihn. Zur Belastung der Ehe wird neben Enitans mangelnder Neigung, ihn und seine Familie zu bedienen, mit der Zeit die Kinderlosigkeit des Paars. Als Enitan endlich doch noch schwanger wird, entfremdet sich das Paar dennoch weiter.

Feministische Geschichte aus Nigeria

Enitans Vater wird wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Enitan kommt in Kontakt zu oppositionellen Aktivisten. Als sie an einer von deren Veranstaltungen, einer literarischen Lesung, teilnimmt, wird sie verhaftet und muss unter bedrückenden, unmenschlichen Umständen eine Nacht in einem Foltergefängnis verbringen. Gegen Niyes Willen, der der privaten Sicherheit der Familie und dem Schutz des gemeinsamen Kindes die Priorität gibt, behält Enitan den Kontakt zu den Oppositionellen bei und schließt sich einer Frauengruppe an – auch wenn sie dafür ihren Mann verlassen muss.

Soweit die an Ereignissen reiche Handlung. Bei all den Verzweigungen bliebt doch der rote Faden Enitans Coming of age zu ihrer Emanzipation als Frau und als politisch engagierter Mensch. Dabei werden die Befreiung der Frau und des Landes immer wieder in Beziehung zueinander gesetzt.

Die Variationen der Lebens- und Beziehungsmodelle der weiblichen Figuren beschreibt Sefi Atta mit klarer feministischer Motivation. Die politische Entwicklung Nigerias zeichnet die Autorin als Folge von Militärputschen, einem in der Bevölkerung zwiespältigen Verhältnis zur Demokratie und als innere Zerrissenheit als Erbe des Biafra-Kriegs und der Spannung zwischen den Volksgruppen Yoruba, Igbo und Haussa.

All das ist aber nichts, was sie mit literarischer Raffinesse durch die Zeilen scheinen lassen würde – nein, hier haben wir es mit einem Werk zu tun, das klar ausformuliert und benennt, was es zu sagen hat. Die Thesen werden dem Leser in ein paar Absätzen oder Dialogen auf dem Tablett serviert.

Die Geschichte, in die das alles verpackt ist, bewegt sich auf dem Niveau eines guten Unterhaltungsromans. Die Figuren sind dabei ausreichend plastisch und differenziert, dass man ihr mit Interesse und Mitgefühl folgt, doch es geht nirgends psychologisch in die Tiefe. Die Sprache ist lebendig, ohne zu überdramatisieren, wobei sich mir manches Bild nicht ganz erschlossen hat, was den Lesefluss an der ein oder anderen Stelle gebremst hat. Ich habe dann aber beschlossen, dass es sich wahrscheinlich nicht lohnt, näher darüber nachzudenken, und bin weiter flott durch die Seiten geflogen, um zu erfahren, was als nächstes kommt.

Stadtroman aus Lagos

Vielleicht hat Sefi Atta diese relative Einfachheit bewusst gewählt, um dem westlichen Leser ein klares Bild vom Leben in Nigeria zu vermitteln und mit einer abwechslungsreichen Handlung schmackhaft zu machen. Tatsächlich bewegt sie sich thematisch fernab von vorgefertigten Afrika-Bildern zwischen Safari und Hungersnot, sondern zeigt, wie der alltägliche Überlebenskampf von Menschen aussieht, die eigentlich ganz „normale“ Probleme haben, damit aber unter äußerst widrigen Umständen zurechtkommen müssen. Diese Einblicke machen für mich den Wert des Romans aus.

Am eindrucksvollsten fand ich ihn in seinen kraftvoll und dicht geschilderten Straßenszenen aus Lagos. Zwischen Lakonie und Verzweiflung hält Sefi Atta sehr gekonnt die Balance, wenn sie das Leben im Großstadt-Moloch beschreibt: Lärm, Chaos, Gewalt, nicht endender Stau, klapprige Autos, Fahrer, die sich verprügeln, Kinder, die betteln, Prostituierte in Kneipen, Stromausfälle, Benzinknappheit und vieles mehr. Da gelingen ihr furiose Miniaturen, die wirklich in Erinnerung bleiben und den Leser hineinversetzen in eine Welt, zu der er als westlicher Außenstehender kaum Zugang hätte. Eine fremde Realität zu vermitteln, das ist sicherlich eine der nobelsten Aufgaben der Literatur, und das glückt hier.

Also: Das ganz große Kunstwerk sehe ich in Sag allen, es wird gut! nicht, aber zur Horizonterweiterung empfehle ich die Lektüre durchaus. Und langweilig wird es auch nicht, versprochen!

  • Sefi Atta, Sag allen, es wird gut!, Aus dem Englischen von Sigrid Groß, Unionsverlag, 352 Seiten, 12,90 Euro (als E-Book 11,99).

Ein Kommentar zu “Sefi Atta, Sag allen, es wird gut!

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