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Wer schnell öffentlichen Unmut auf sich ziehen möchte, dem sei angeraten, auf einem Foto in den Sozialen Medien als Jäger mit einem erlegten Tier zu posieren. Ein entsprechendes Erinnerungsfoto von seiner Elefantenjagd in Botswana inmitten der spanischen Wirtschaftskrise trug einst sogar zur Abdankung von König Juan Carlos I. bei. Einnehmend wirkt so eine Prahlerei mit Trophäen ja nun wirklich nicht. Umso erstaunlicher ist es, in was für einen starken Bann ein Roman über das Thema Großwildjagd seine Leser ziehen kann. Trophäe, der Bestseller der flämischen Autorin Gaea Schoeters, gelingt ein Drahtseilakt: Mit unglaublich packenden Schilderungen verführt sie die Leser*innen, sich auf die Faszination der Jagd einzulassen und sie moralisch differenziert zu betrachten – bis man dem Roman und seiner Hauptfigur zu einer ultimativen Grenzüberschreitung folgt.

Roman über die Großwildjagd

Zunächst einmal aber ist der Protagonist von Trophäe alles andere als ein Sympathieträger. Hunter White – mein Gott, schon dieser Name! Ein weißer Jäger ist dieser US-amerikanische Immobilien-Millionär, der mir nichts dir nichts einen sechsstelligen Dollar-Betrag hinlegt, um in einem afrikanischen Land eine Jagdlizenz zu erwerben. Die „Big Five“ will er voll machen, also nach Elefant, Löwe, Büffel und Leopard auch noch das letzte der großen fünf Wildtiere der afrikanischen Wildnis erlegen, ein Nashorn.

Damit, den alten weißen Mann mit seinem blutrünstigen Hobby zu verabscheuen, ist der moderne Leser sicher schnell bei der Hand. Doch Autorin Gaea Schoeters lässt sich auf keine platte Schwarz-Weiß-Malerei ein. Sie erzählt ihren Roman just aus der Perspektive dieses aus der Zeit gefallenen Machos und zwingt den Leser damit, dessen Sichtweise einzunehmen. So schickt sie uns mit auf seine Gedankengänge und Argumentationslinien. Die horrenden Summen, die westliche Großwildjäger in Afrika für die Abschusslizenzen bezahlen, würden dort den Artenschutz erst ermöglichen, so Hunters Sichtweise. Nur so lohne es sich für die örtlichen Regierungen wirtschaftlich, bedrohte Arten vor dem ungeregelten, massenweisen Abschuss durch Wilderer zu bewahren.

Detailreiche Naturschilderungen

Ist das eine Rechtfertigung mit Hand und Fuß, oder redet sich da einer die Sache bloß schön? Schoeters jedenfalls führt die Argumentation so stringent aus, dass man sich kaum entziehen kann. Gleichzeitig aber kalkuliert die Autorin den inneren Widerstand des Lesers mit ein, der sich doch eigentlich nicht mit dem Großwildjäger identifizieren möchte. Diese moralische Ambiguität herzustellen, ist der große Kunstgriff des Romans.

Und auch mit detailreichen, überaus spannenden Jagdszenen wirft die Autorin ihr erzählerisches Netz aus. Wie die einheimischen Fährtenleser jedes vermeintlich unsichtbare Zeichen der Natur deuten, um dem Nashorn auf die Spur zu kommen, und wie sich dabei immer mehr die innere Spannung des Jägers aufbaut, ist meisterlich. Sie macht etwas nachvollziehbar, für das man zuvor doch keinerlei Verständnis zu haben glaubte – unterliegt aber auch nicht der Versuchung, es zu glorifizieren. Doch wer könnte schon Naturschilderungen wie dieser widerstehen:

„Aufmerksam studiert Hunter das Nashorn. Alles an dem Tier, vom schwerfälligen Leib bis hin zu den plumpen Füßen, wirkt wie eine grobe Skizze: eine erste Idee, die noch ausgearbeitet werden sollte, aber der Aufmerksamkeit des Schöpfers entging. Der vergessene Prototyp einer nicht weiterentwickelten Art. Schwere Hautfalten fallen wie die Platten einer Ritterrüstung über seine Schultern, die dicke Haut ist so spröde, dass sie fast geschuppt wirkt. Das ganze Tier erinnert an ein prähistorisches Reptil: Die Fettrunzeln im Nacken des Rhinos wirken wie die Nackenkrause eines Dinosauriers, und auch der Kopf mit der ausgeprägten Oberlippe, die zwischen Maul und Schnabel zu schwanken scheint, hat etwas Primitives. Aber in dem hellschwarzen Auge, von zarten Wimpern gesäumt, liegt eine fremde Sanftheit, die im krassen Gegensatz zum groben Äußeren des Tieres steht; ja, der Blick hat fast etwas Melancholisches.“ (Seite 25 f.)

Von dieser Basis aus kann Schoeters die nächste Umdrehung der Schraube vornehmen. Hunter White erlebt einen großen Frustmoment, als Wilderer ihm zuvorkommen und „sein“ Nashorn erlegen. Der Berufsjäger van Heeren, bei dem er seine Jagdsafari gebucht hat, versucht, die Laune des geldigen Kunden zu retten, und schlägt ein Ersatzprogramm vor. Ob er denn schon etwas von den „Big Six“ gehört habe, fragt van Heeren. Die Menschenjagd ist eröffnet.

Die Menschenjagd ist eröffnet

Und der Leser muss entsetzt feststellen, dass sie sich mit fast den gleichen Argumenten rechtfertigen lässt wie die Großwildjagd, ermöglicht doch die üppige Gebühr dafür einem einheimischen Stamm, auf seine althergebrachte Weise in seinem angestammten Areal zu überleben. Die Leser*innen haben doch gerade schon einmal ihre Maßstäbe hinterfragt und überdacht. Ist es nun nicht nur konsequent, van Heeren zuzustimmen, wenn er sagt:

„Deine westliche Moral ist ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss. Der Rest der Welt muss mit Pragmatismus auskommen. Ich helfe diesen Jungs auf die einzig mögliche Art.“ (Seite 103)

Und dann fällt Hunters Blick auf das ähnlich sinnlich und mit viel innerer Spannung bis hin zur erotischen Erregung beschriebene Bild seines potenziellen menschlichen Wildes, eines jungen Mannes namens !Nquate.

Was folgt, ist an Spannung kaum zu überbieten. Die Leserin und der Leser verfolgen das Geschehen mit der Faszination des Grauens, und man fragt sich, wie Hunter offenbar auch: Worauf habe ich mich da eingelassen? Wie weit kann das Ganze wirklich gehen? Doch weder für den Protagonisten noch für die Leser*innen gibt es ein Zurück.

Kritischer Blick auf Kolonialismus

Der kalkulierte Schlag in die Magengrube gelingt der Autorin perfekt. Der Roman schockiert und rüttelt einen zunehmend durch – und zwingt die Leser*innen damit, sich selbst und ihre eigene Perspektive auf Themen wie Kolonialismus und Rassismus auf den Prüfstand zu stellen.

Denn mit Sicherheit geht es der Autorin nicht in erster Linie um die moralische Beurteilung der Jagd an sich. Diese erscheint hier vielmehr als ein Ausdruck des kolonialen westlichen, von Besitzanspruch geprägten Blicks auf Afrika, in dem auch Menschen nur als Teil einer großen Naturkulisse erscheinen, die allein dem ästhetischen Genuss eines weißen Publikums dient und in dem Ausbeutung wie vermeintliche Entwicklungshilfe nach eigenen, im Zweifelsfall heuchlerisch zurechtgebogenen Maßstäben von oben herab erfolgt.

Trophäe ist ein sehr vielschichtiger, intelligenter und brillant geschriebener Roman – allerdings nichts für schwache Nerven!

  • Gaea Schoeters, Trophäe, Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing, btb Verlag, 256 Seiten, 14 Euro.

Ein Kommentar zu “Gaea Schoeters, Trophäe

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