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Mit einer Pandemie möchte man, sobald sie nicht mehr unseren Alltag und die Schlagzeilen bestimmt, eigentlich möglichst schnell abschließen und am liebsten nichts mehr davon hören. Das erleben wir gerade mit Covid 19, das man sich heute kaum noch zu erwähnen traut, will man nicht genervt bis wütend angeschaut werden. So zu tun, als wäre nie etwas gewesen, und rasch zur Normalität zurückzukehren, mag ein menschlicher und allzu verständlicher Reflex sein, wird der Sache und vor allem den verlorenen Menschenleben aber nicht gerecht. Ebenso mutig wie wichtig ist es deswegen, wie die amerikanische Autorin Rebecca Makkai in ihrem Roman Die Optimisten den Opfern von Aids in den 1980er-Jahren Tribut zollt und gleichzeitig eindringlich aufzeigt, dass sich das Kapitel bis heute nicht so einfach zu den Akten legen lässt, wie man das vielleicht gerne möchte. Sie tut das in einem mitreißenden, glänzend erzählten Roman, der mich tief berührt hat.

Trauerfeier für einen Aids-Toten

Rebecca Makkai erzählt ihre Geschichte in zwei sich kapitelweise abwechselnden Strängen. Einer davon spielt 1985 und in den folgenden Jahren in einem Freundeskreis junger homosexueller Männer in Chicago. In der Großstadt hat sich mit dem Schwulenviertel Boystown ein Ort der Freiheit inmitten einer von vielen Ressentiments und Vorurteilen geprägten Gesellschaft entwickelt. Doch über dieser individuell wie kollektiv hart erkämpften Oase des Man-selbst-sein-Dürfens schwebt nun die Angst vor Ansteckung.

Der Roman beginnt mit der Trauerfeier für den an Aids gestorbenen Künstler Nico – bezeichnenderweise nicht im Kreis der Familie des jungen Mannes, den seine Eltern verstoßen und dessen adäquate medizinische Behandlung sie aus Scham verhindert haben, sondern im Haus des befreundeten Fotografen Richard. Hier begegnen wir den zentralen Figuren des Romans. Nicos Schwester Fiona hat ihrem Bruder, nachdem er wegen seiner Homosexualität in jungen Jahren vor die Tür gesetzt wurde, stets zur Seite gestanden und ihn bis zu seinem Tod begleitet. Dabei wurde sie, obwohl selbst kaum über 20, zu einer Art „Mutter der Kompanie“ der ganzen Clique ihres Bruders. Zu der gehört auch Yale Tishman, ein eher introvertierter junger Mann, der in der Großstadt Chicago zu sich selbst und seinem Partner Charlie fand, dem Herausgeber eines schwulen Stadtmagazins. Yale träumt von einem monogamen Glück im eigenen Häuschen. In ihrem Kreis bewegen sich freilich auch Schwule mit anderen Lebensmodellen, der exaltierte Schauspieler Julian mit der charakteristischen Haartolle in der Stirn etwa oder der aktivistische Rechtsanwalt Asher.

Kunst-Krimi vor dem Hintergrund der Epidemie

Yale hat eben eine Stelle in einer an die Universität angeschlossenen Galerie angetreten. Fionas Großtante Nora möchte nun explizit zu ihm Kontakt aufnehmen. Wie sich herausstellt, hat sie vor, der Galerie eine Reihe von Skizzen und Zeichnungen zu übereignen, in deren Besitz sie während ihrer Zeit als Kunststudentin in Paris in den 1920er-Jahren gelangt ist. Damals pflegte sie Kontakt zu namhaften Künstlern, darunter Modigliani, stand einigen selbst Modell. Yale ist somit dabei, einen unentdeckten Kunstschatz von Millionenwert zu bergen und für die Galerie an Land zu ziehen. Nora knüpft die Übergabe allerdings an die Bedingung, dass die ganze Sammlung inklusive der eher minderwertigen Werke eines unbekannten Malers namens Ranko Novak ausgestellt werden. Zudem ist ihre Familie alles andere als begeistert, dass Nora das wertvolle Erbe verschenken will.

Daraus entwickelt sich eine Art Kunstkrimi (allerdings ohne crime), der sich vor dem Hintergrund der um sich greifenden Aids-Epidemie abspielt. Während sich Yale zusammen mit Galerie-Chef Bill, einem verkappten Homosexuellen, und Praktikant Roman um Noras Vermächtnis bemüht und deren Liebesgeschichte mit Ranko Novak erzählt bekommt, ist er privat mit immer neuen HIV-Infektionen und Todesfällen in seinem Umfeld konfrontiert. Die Einschläge kommen näher. Unterdessen stellt die Autorin auch eine innere Verbindung zwischen Noras Erlebnissen im Paris des frühen und der Pandemie des späten 20. Jahrhunderts her: Wie seinerzeit der Erste Weltkrieg Tod und Verzweiflung in einen zuvor das Leben feiernden Künstlerkreis brachte, ist es nun ein Virus, das unter einer Generation junger Männer Verheerungen anrichtet.

Der zweite Erzählstrang spielt 2015. Fiona, die mittlerweile eine gescheiterte Ehe hinter sich hat, reist nach Paris, um ihre mutmaßlich dort untergetauchte Tochter Claire zu suchen. Dabei quartiert sich Fiona bei Richard ein, der zu einem international gefeierten Fotografen aufgestiegen ist. Die Schatten der Vergangenheit begleiten Fiona und haben auch maßgeblich mit dem verkorksten Verhältnis zu ihrer Tochter zu tun.

Hervorragend entwickelter Plot

Die Optimisten unterhält den Leser mit einem hervorragend konstruierten, auf mehreren Ebenen spannenden Plot. Die über 600 Seiten habe ich in Windeseile verschlungen. Ihre Figuren entwirft Rebecca Makkai stimmig, differenziert und mit viel Empathie. Man lebt und leidet mit ihnen mit, vor allem natürlich mit den beiden Hauptfiguren Yale und Fiona. Die Autorin muss nicht auf die Tränendrüse drücken, damit beim Leser viel Emotion aufkommt.

Kleine bis große Stiche versetzt es einem, wenn Yale und andere schwule Figuren immer wieder mit alltäglicher Diskriminierung konfrontiert sind, bis hin zum tätlichen Angriff. Unter der Fassade des Überspielens, Ignorierens, ja fast schon Verständnis-Zeigens durch die Opfer macht Makkai doch deutlich den Schmerz der Ausgrenzung spürbar. Man glaubt, solche Homophobie sei ein Thema aus den konservativen USA von vor 40 Jahren? Nun ja, man betrachte die aktuellen Schlagzeilen über die Proteste gegen eine Kinderbuch-Lesung mit Travestie-Künstlerin in der Münchner Stadtbibliothek, die AfD-Kampagne gegen den Pride-Month und das Umfragehoch besagter Partei sowie einen vereitelten Anschlag auf die Regenbogenparade in Wien.

Roman lässt Hoffnung und Optimismus zu

Mit der schonungslosen Darstellung des Sterbens an den Folgen von Aids holt Rebecca Makkai eine weitere verdrängte Wahrheit ans Tageslicht. HIV hat heute in der westlichen Welt weitgehend seinen Schrecken verloren. Zum Glück gibt es mittlerweile Medikamente, mit denen sich der Ausbruch von Aids bei Infizierten sowie auch die Weitergabe des Virus unterbinden lassen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass so viele Menschenleben auf elende Weise verloren gegangen sind, nichts an der Ignoranz und Empathielosigkeit, mit der dies Teile der Gesellschaft zur Kenntnis genommen haben, und nichts daran, dass Infizierten in weiten Teilen der Welt die so wichtigen Medikamente bis heute nicht zur Verfügung stehen.

Der ernsten und oft erschütternden Thematik zum Trotz hat Rebecca Makkai einen Roman geschrieben, der viel Hoffnung zulässt, Freude bereitet und kitschfrei von Freundschaft, Liebe und Solidarität handelt und was all das bewegen kann. Dem Roman den Titel Die Optimisten zu geben, ist deswegen alles andere als abwegig – zumindest nach der Definition in diesem zentralen Romanzitat:

Naive Menschen haben noch keine echte Prüfung hinter sich, deshalb meinen sie, ihnen könnte nichts passieren. Optimisten wir wir haben schon etwas durchgemacht und stehen trotzdem jeden Tag auf, weil wir glauben, wir könnten verhindern, dass es noch einmal passiert.

Seite 510

  • Rebecca Makkai, Die Optimisten, Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Abarbanell, Julia Eisele Verlag, 625 Seiten, 12,99 als E-Book, 16 Euro als Taschenbuch.

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