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Wenn auch nicht in jeder Hinsicht, so kann ich doch zumindest in Bezug auf meine Lektüre auf ein gutes Jahr 2024 zurückblicken. 27 Bücher habe ich heuer gelesen. Das ist im Vergleich zu vielen Buchbloggern, die eine vergleichbare Zahl pro Monat vorweisen können, sicher nicht viel, für meine Verhältnisse aber eine relativ gute Ausbeute.

Darunter waren 11 Bücher, die von weiblichen Autorinnen stammten, und 16 von männlichen Schriftstellern. Ich wähle meine Lektüre nicht nach dem Geschlecht der Verfasser*innen aus, beobachte mich aber diesbezüglich. Meine Frauenquote war, glaube ich, heuer höher als in vielen zurückliegenden Jahren. Dass das Verhältnis trotzdem noch nicht ausgewogen ist, sagt möglicherweise etwas über mich, vermutlich aber noch mehr über den Buchmarkt aus.

Romane aus Norwegen

Meine Leseliste 2024 ist zwar immer noch bunt gemischt, weist aber doch etwas mehr Kontinuität auf als sonst. So habe ich in diesem Jahr allein sieben Romane aus Norwegen gelesen. Das war zum einen bedingt durch das Semesterthema in meinem Lesekreis, zum anderen habe ich darüber hinaus noch ganz für mich allein norwegisch weitergelesen. Beim Zusammenstellen meiner Vorschlagsliste für den Lesekreis hatte ich festgestellt, welchen enormen Reichtum die Literatur dieses Landes bietet.

Mit Knut Hamsun (Hunger) und Jon Fosse (Morgen und Abend) habe ich zwei norwegische Literatur-Nobelpreisträger gelesen – wobei mich ersterer eindeutig mehr beeindruckt hat. Meine persönlichen Highlights aus Norwegen waren aber Die Vögel von Tarjei Vesaas – ebenfalls ein Klassiker – sowie Die Wahrheiten meiner Mutter der zeitgenössischen Autorin Vigdis Hjorth. Ebenfalls lesenswert, wenn auch mit leichten Abstrichen, fand ich Pferde stehlen von Per Petterson. Eine moderne Familie von Helga Flatland und der Bestseller Als Großmutter im Regen tanzte von Trude Teige fielen dem gegenüber deutlich zurück.

Schwerpunkt Südamerika

Ein weiterer geografischer Leseschwerpunkt meines Jahres lag in Südamerika. Damit bin ich zu den Wurzeln meines Hispanistik-Studiums zurückgekehrt, und erfreulicherweise hat mich mein Lesekreis auf Teilen dieser Reise begleitet. So stehen auf meiner Leseliste 2024 nun immerhin vier argentinische und zwei chilenische Autor*innen. Den größten Eindruck haben bei mir die teils wieder gelesenen Erzählungen von Horacio Quiroga im Band Die Wildnis des Lebens hinterlassen, ein Klassiker der lateinamerikanischen Literatur. César Aira, der inoffizielle argentinische Nobelpreis-Anwärter der Gegenwart, war mir seit meiner Argentinienreise 2001 vom Namen her ein Begriff, heuer habe ich endlich erstmals zwei seiner verrückten Kurzromane gelesen, nämlich Die Nächte von Flores und La cena. Unterhaltsam, schräg und literarisch horizonterweiternd.

Ebenfalls schon lange auf der Liste hatte ich Claudia Piñeiro, die ich aber unter Unkenntnis ihrer Werke vor allem in die Krimi-Schublade gesteckt hätte. Ihr Roman Catedrales ist aber viel mehr und hat mir Lust gemacht, in Zukunft mehr von ihr zu lesen. Sie könnte sogar eine Lieblingsautorin werden. Mit der 1983 geborenen Alia Trabucco Zerán aus Chile habe ich auch einen Blick auf die relativ junge lateinamerikanische Literatur geworfen. Ihr Roman Limpia (deutscher Titel: Mein Name ist Estela) ist ebenfalls empfehlenswert.

Mit nostalgischen Gefühlen verbunden war für mich die Lektüre von Mit brennender Geduld von Antonio Skármeta. Meine Güte, 30 Jahre ist es schon her, dass die Verfilmung dieses Romans unter dem Titel Der Postmann im Kino lief. Und fast genauso lang, dass ich als Spanisch-Student Liebesgedichte von Pablo Neruda las. Skármetas Roman, in dem es um die Freundschaft zwischen einem Postboten und dem großen Dichter Neruda geht, war für mich eine wunderbare Inspiration, die alten Lyrikbände und Nerudas Autobiografie Ich bekenne, ich habe gelebt aus dem Regal zu ziehen.

Eine Wiederbegegnung mit einem Stück Kultur, dass mich begeistert, seit ich 17 oder 18 war, war auch die Erzählungssammlung Der letzte Traum von Pedro Almodóvar. Im Universum von Almodóvar habe ich mich sofort wieder heimisch gefühlt.

Von meinem alten stark hispanophil orientierten Ich war auch noch genug übrig, um 2024 immerhin drei der genannten Bücher in spanischer Sprache zu lesen. Eine Erkundungsreise in stark bedrohte Hirnregionen.

Walchensee und Côte d’Azur 

Wieder einmal wenig Platz blieb im Vergleich dazu für die deutschsprachige Literatur. Über den Umweg der Anerkennung aus dem Ausland schaffte es zumindest Kairos von Jenny Erpenbeck auf meine Leseliste. Zum ersten Mal hat eine deutsche Schriftstellerin den International Booker Prize gewonnen. Trotz der unbestreitbaren Qualitäten des Romans blieb bei mir beim Lesen das Gefühl einer Pflichtaufgabe.

Eine überaus positive Überraschung erlebte ich dagegen zum Jahresende mit dem kurzen Roman Triebwasser von Sandra Altmann, der zur Zeit des Baus des Walchenseekraftwerks spielt. Meine Erwartungen sind nicht hoch, wenn ein Werk stark auf Lokalkolorit setzt, und gelesen habe ich das Buch vor allem aus beruflichem Interesse als Lokaljournalist. Doch am Ende war ich unerwartet angetan – nicht nur weil ich auf diese Weise die verpassten sommerlichen Ausflüge zu meinem geliebten Walchensee nachholen konnte.

Ein weiteres Thema in meinem Jahr als Leser: Es hieß Abschied nehmen von mehreren, von mir sehr geschätzten Schriftsteller*innen. Ich tat es im Sommer, indem ich Himmel und Hölle von Alice Munro (gestorben am 13. Mai 2024) und Glister von John Burnside (gestorben am 29. Mai 2024) las. Mit dem Tod von Paul Auster am 30. April 2024 habe ich einen meiner absoluten Lieblinge verloren. Seinen letzten Roman Baumgartner hatte ich kurz zuvor gelesen. Als ich Mit brennender Geduld las, war noch gar nicht zu mir durchgedrungen, dass der Autor Antonio Skármeta am 15. Oktober 2024 gestorben war.

Noch lange unter den Lebenden weilt hoffentlich einer meiner weiteren Lieblingsautoren, Colm Tóibín. Zu meiner großen Freude hat er 2024 mit Long Island eine Fortsetzung seines Erfolgs Brooklyn vorgelegt. Der Besuch seiner Lesung im Münchner Literaturhaus zählte zu meinen schönsten Erlebnissen des Jahres, die Lektüre von Long Island und auch seiner Erzählung The Shortest Day waren reine Selbstfürsorge.

Bereichernde Klassiker

Als überaus bereichernd empfand ich 2024 die Lektüre von vier Klassikern aus dem 19. Jahrhundert. Neben den erwähnten Werken von Horacio Quiroga und Knut Hamsun zählte dazu Der Tod des Iwan Iljitsch von Tolstoi. Diese Erzählung weckte in mir ehrlich gesagt größere Liebe als Anna Karenina, das ich im Jahr zuvor gelesen hatte. Große Begeisterung! Schwerer tat ich mir mit Das Kind von Jules Vallès. Aber ich muss anerkennen, dass der Autor mit seinem humorvollen und eher kolloquialen Stil sowie seinem humanen Blick auf Pädagogik und Kinderrechte seiner Zeit sicher weit voraus war.

Daneben bleiben noch einige Bücher, an denen ich 2024 zwar ebenfalls Freude hatte, die aber keinen ganz so bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Der Papierpalast von Miranda Cowley Heller empfand ich als angenehmen, stellenweise sehr spannenden Schmöker – mehr aber auch nicht. Der weite Weg zu zweit war für mich vermutlich nicht ganz der richtige Einstieg ins Werk des großen John Updike. Diese Szenen einer Liebe – so der Untertitel – kamen mir leicht angestaubt vor. Ein weiterer Anlauf mit einem anderen Buch von Updike würde sich aber bestimmt lohnen. Bonjour tristesse von Françoise Sagan ist stimmungsvoll und trug mich mangels realer Reisemöglichkeiten an die Côte d’Azur, blieb für mich jedoch eine schnelle Lektüre zwischendurch – désolé! Der Ausflug ins Mittelalter von Lauren Groffs Roman Matrix war interessant und kurzweilig, für meinen Geschmack allerdings etwas zu laut und bunt. Vielleicht etwas für jüngere Leser.

Jetzt, zum Jahresende, bin ich etwas unentschlossen, mit welchem der Bücher, die unterm Weihnachtsbaum lagen, ich anfangen soll. Um mich nicht auf länger festlegen zu müssen, hangle ich mich mit den im Band Liebe im hohen Gras gesammelten Erzählungen von Claire Keegan durch. Sie sind so dicht, dass ich nicht glaube, sie alle am Stück lesen zu können, und doch komme ich nicht davon los. Sie werden mich wohl bis ins Jahr 2025 hinein begleiten.

Allen treuen oder auch sporadischen Lesern meines Blogs, in dem ich 2024 insgesamt 19 ausführliche Buchbesprechungen veröffentlicht habe, wünsche in ein wunderschönes Bücherjahr 2025! Danke an Euch alle!!

8 Kommentare zu “Mein Lesejahr 2024: Ein Rückblick

  1. Lieber Buchuhu Andreas,
    ganz lieben Dank für Deine Beiträge und den Rückblick für 2024.
    Ich finde, die Anzahl Deiner gelesenen Bücher und auch die Anzahl gelesener Autorinnen bedürfen keiner Wertung. Wo kämen wir denn dahin, zu werten, wie wer liest, wieviel, warum, wen!
    Aus Norwegen habe ich dieses Jahr gar nichts gelesen. Der Roman „Als Großmutter im Regen tanzte“ liegt immer noch ungelesen im Regal.
    Und auch in Süd- oder Lateinamerika war ich dieses Lesejahr gar nicht unterwegs. Auch „Catedrales“ liegt noch ungelesen hier.
    In welchen Ländern ich genau unterwegs war, kann ich noch gar nicht sagen, da meine Auswertung noch aussteht. Ich denke, mein Rückblick erscheint frühestens am 31.12.
    Hab einen schönen Jahresausklang und einen guten Start ins Neue Jahr!

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  2. Lieber Andreas,
    wie schön zu wissen, dass du auch einen Schwerpunkt „Südamerika“ hast. Claudia Piñeiro gehört auch zu meiner regelmäßigen Lektüre. „Catedrales“ fand ich hervorragend. Dieses Jahr erscheint ihr neues Buch „Die Zeit der Fliegen“. Bzgl. Chile habe ich 2024 fast alles gelesen – vor allem deswegen, weil 2027 Chile das Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird.
    Beeindruckend, dass du auch einiges auf Spanisch lesen konntest. Das schaff ich leider zeitlich einfach nicht.
    Wirst du 2025 den Schwerpunkt weiterführen?
    Noch das Beste und gute Literatur für dieses Jahr!
    Liebe Grüße Vera

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    • Liebe Vera,
      das ist ja toll, dass Du Dich auch so für lateinamerikanische Literatur interessierst! Ich habe vor allem während meines Studiums einiges aus Lateinamerika gelesen, mag zum Beispiel Vargas Llosa, García Márquez und Carlos Fuentes sehr. Auch dieses Jahr werde ich bestimmt wieder das eine oder andere Buch aus Lateinamerika lesen, nicht zwingend nur aus Argentinien und Chile, aber etwas von Claudia Piñeiro wird bestimmt dabei sein.
      Dass Chile Gastland der Frankfurter Buchmesse 2027 sein wird, freut mich sehr zu hören. Das bedeutet sicher viele spannende Entdeckungen. Und vielleicht kann ich ja selbst vor Ort sein, wer weiß.
      Viele herzliche Grüße
      Andreas

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