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Anders lesen: Wer sich gerne auf literarische Entdeckungsreisen abseits ausgetretener Pfade begibt, dem sei der Roman Die Pontonbrücke der Slowenin Suzana Tratnik empfohlen. Die Autorin nimmt uns mit in die Lesbenszene im Ljubljana der 1990er-Jahre. Die wilde Tour lohnt sich.

Im Mittelpunkt von Die Pontonbrücke steht die von der Autorin offensichtlich autobiografisch angelegte Protagonistin Jana. Die Ewigkeitsstudentin hält sich mit kleineren Übersetzungen und Zeitschriftenartikeln über Wasser und treibt recht ziellos durch ihr Leben in der slowenischen Hauptstadt, bis sie am Ende des Romans mit der Veröffentlichung eines Buchs mit Kolumnen bei ihrer Bestimmung als Autorin angekommen zu sein scheint.

Aus der Lesbenszene von Lubljana

Wir erfahren von Janas Panikattacken, den Besuchen bei einer Psychotherapeutin, von ihrer toxischen Beziehung zum dogenabhängigen Model Simi und von ihrem lesbischen Freundeskreis mit einer Reihe sehr lebendig und witzig beschriebener, teils schräger Charaktere – ohne dass es je in Klischees einer ach so bunten Homosexuellen-Szene abdriften würde.

Eine besondere Rolle in Janas Leben spielt die ebenfalls süchtige Ana, die wiederum in einer komplizierten Beziehung mit Sanja steckt. Innerhalb des eher begrenzten lesbischen Soziotops Ljubljanas gibt es reichlich erotische Querbeziehungen, und auch zwischen Jana und Ana kommt es zu sexuellen Episoden. Doch der Weg zur Erkenntnis, was die beiden Frauen einander wirklich bedeuten, ist weit und mit Konflikten gepflastert.

Die titelgebende Pontonbrücke ist eine Metapher, die Janas Therapeutin gebraucht. Wie bei so einer Brücke, die aus einzelnen schwimmenden Elementen besteht, bewegt sich Jana auf schwankendem Grund Stück für Stück voran, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hat.

Partynächte im „Monokel“

Die 1963 geborene Autorin Suzana Tratnik reiht ihre Szenen aus der „Szene“ leicht chaotisch aneinander, sodass es nicht ganz einfach ist, sich daraus den chronologischen Ablauf der Geschehnisse zusammenzubasteln. Wichtiger als die Frage, wer wann mit wem, ist hier ohnehin das Atmosphärische. Der Leser kommt mit auf Partynächte in diversen lesbischen Lokalen Ljubljanas. Einige Farbfotos der – leider menschenleer abgebildeten – Kneipe „Monokel“ zieren das Buch und unterstreichen die Authentizität des Romans. Die konsumierten Drinks und Drogen nehmen reichlich Raum im Text ein. Dazwischen entspinnen sich ausgedehnte Dialoge zwischen den Figuren, teils mit Witz, teils in Form heftiger Streitereien.

Die Sprache des Romans ist schlicht und flapsig, gespickt mit Vulgärausdrücken, Anglizismen und Slang. Viel ist von „Tussis“ und „Muschis“ die Rede, und mehr als einmal musste ich – naiv, wie ich in dieser Hinsicht bin – online Begriffe aus der Drogensprache nachschlagen. „Gras“ und „Shit“ kenne ich gerade noch, aber bei „Rizla“ als Zigarettenpapier hakte es bei mir aus, und bei „Skunk“, „Horse“ oder „Braunem“ war ich überfragt. Einiges dazugelernt habe ich auch bezüglich alkoholischer Mischgetränke wie „Wodka E“ (Wodka mit Redbull) oder „Eisbär“ (Wodka mit Sekt).

An einigen Stellen tut sich Übersetzerin Zuzana Finger allerdings sichtlich schwer, die slowenische Jugend- und Umgangssprache adäquat ins Deutsche zu transportieren. So überzeugt es mich nicht, dass progressive Hauptstadt-Lesben sagen, sie seien „nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen“. Diese Formulierung würde ich eher an einem bayerischen Stammtisch verorten.

Am Rand der Gesellschaft

Auch wenn ich hier nicht von einem feinsinnigen literarischen Genuss sprechen würde, habe ich doch große Sympathien für Tratniks Roman. Ich mag es, dass die Autorin den Blick auf einen vermeintlichen Rand der Gesellschaft jenseits des Bürgerlichen wirft, ein literarisch wenig erschlossenes Terrain betritt, und zwar mit einem großen Herz für ihre unkonventionellen, unperfekten Figuren mit all ihren Brüchen. Sie präsentiert uns deren Alltag sehr direkt und unverstellt, gänzlich unverkrampft, mit Humor und ohne zu werten.

Drogen sind in dieser Welt sehr präsent. Suzana Tratnik bildet diese Realität ab, wobei sie das Gezeigte weder verherrlicht noch verharmlost. Dass Ana im Gegensatz zum allgegenwärtigen Kiffen auch von „harten“ Drogen abhängig ist, wird durchaus als schweres Problem benannt. Doch von einem erhobenen Zeigefinger oder einer Verurteilung könnte der Text nicht weiter entfernt sein, sondern treibt mit pädagogischen Ansätzen zur Verarbeitung des Themas in der Literatur leicht und locker seinen Spott:

Wozu hatte sie in der Schule den Schrott über die Kinder vom Bahnhof Zoo gelesen, wenn sie nichts über das wahre Leben lernte? (…) Nur Jana wunderte sich später, wie es sein kann, dass die Junkies, also konkret Simi und Ana, nichts aus Büchern und Filmen lernen.
„Natürlich lernen wir was draus“, versicherte Ana ihr. „Den Drogenkonsum und das Dealen und solche Dinge.“ Jana nickte ungeduldig, sie habe nicht das gemeint, sondern sie wollte wissen, warum sie nicht sehen, wie schlimm das ist, wenn Hauptfiguren auf Entzug sind und stehlen, auf der Straße leben, sich verkaufen, sich demütigen lassen müssen…
„Das sehen Simi und ich nicht. Ich zumindest sehe am liebsten den Augenblick, wenn die Hauptfigur Drogen nimmt und – ab geht die Post!“ Ana grinste.

Seite 169

Queeres Leben in Slowenien

Genauso unverkrampft geht Suzana Tratnik mit dem Thema Homosexualität um – nicht ganz selbstverständlich, immerhin befinden wir uns in einem osteuropäischen Staat vor 30 Jahren. Auch wenn Slowenien als vergleichsweise liberal gilt, gehe ich davon aus, dass das offene Leben einer queeren Identität im Ljubljana des Jahres 1996 mit Komplikationen verbunden war. Themen wie Diskriminierung und Ausgrenzung klammert Tratnik allerdings weitgehend aus, widmet sich nur in kurzen sachlichen Passagen den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen im jungen slowenischen Staat, nicht ohne einen Seitenhieb auf das vermeintlich liberale „westliche“ Gegenmodell.

Das virtuelle Zuhause ihrer alternativen queeren Familie im neu entstehenden Staat der neunziger Jahre wurde durch eben diese staatliche Neubildung behindert und auseinandergebrochen. Das klingt ein wenig kanzerogen, und das ist es auch. Sichtbar werden die Brüche in der Schwulenszene und der alles liebenden und tolerierenden Raver-Szene der neunziger Jahre genau an der zunehmenden Hetze und der seelsorgerischen Haltung des rechten Spektrums gegenüber den sogenannten geschlechtlich Anderen, hinter der manchmal das kaum verschleierte Bild des brennenden Scheiterhaufens schimmert, auf den sie die Schwuchteln, Kampflesben und Transen, all die verdorrten Äste des Lebensbaums, werfen möchten. Und von der politischen Korrektheit wird man mit der Bezeichnung als gleichgeschlechtlich verarscht. Was zum Teufel soll das heißen? Dass man mit seinem Geschlecht gleich ist? Wahrscheinlich nicht. Der Begriff „gleichgeschlechtlich“ klingt wie eine Spore in der Biologie, die jedoch für eine viel weniger entwickelte Form des Seins verwendet wird.

Seite 236

Ja, diese Gedanken haben Suzana Tratnik und ihre Hauptfigur Jana, die auch explizit als feministisch und aktivistisch definiert ist. Doch der Roman dient nicht als Vehikel zur Veranschaulichung solcher Konflikte. Dass seine lesbischen Figuren irgendwie um ihren Platz im Leben ringen, unter Panikattacken leiden, in Psychotherapie sind und in Drogen und im Alkohol mutmaßlich auch Zuflucht suchen, klingt allenfalls subkutan mit und bleibt Interpretationssache.

Tratniks Statement besteht vielmehr darin, ihre Figuren inmitten einer gelebten Alltäglichkeit zu zeigen, in der Frauen eben Frauen lieben und Heterosexuelle gar nicht erst vorkommen. Zu lesen, dass es das nicht nur im heutigen Berlin, sondern eben auch im Osteuropa der 1990er gibt, ist augenöffnend.

  • Suzana Tratnik, Die Pontonbrücke, Aus dem Slowenischen von Zuzana Finger, konkursbuch, 336 Seiten, 14 Euro.

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