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Immerhin ein amerikanischer Traum ist mit dem Roman Das geträumte Land wahr geworden: Die aus Kamerun in die USA eingewanderte Imbolo Mbue ist dort als Schriftstellerin groß rausgekommen. Sie hat das Manuskript bei keiner geringeren Literaturagentin als Susan Golomb untergebracht, die auch Jonathan Franzen betreut, soll vom Verlag eine Million Dollar Vorschuss bekommen haben und erhielt nach Veröffentlichung reichlich Promotion durch Oprah Winfrey. Die Filmrechte sind bereits verkauft. All das sei der höchst sympathischen Autorin von Herzen vergönnt. Auf hohen literarischen Wert ist dieser durchschlagende Erfolg allerdings wohl weniger zurückzuführen. Vielleicht eher darauf, dass Imbolo Mbue den richtigen Stoff zur richtigen Zeit aufgegriffen und mit Schmiss in einen gut konsumierbaren Unterhaltungsroman verpackt hat. Ich habe ihn nicht ohne Vergnügen gelesen, war am Ende aber doch leicht konsterniert über den Mangel an künstlerischer Ambition.

Auf alle Fälle von Interesse ist das Thema des Romans: der Kampf afrikanischer Migranten, um in New York eine Zukunft für sich und ihre Kinder aufzubauen – mitten im Geflecht von Einwanderungsbürokratie, Existenzangst, unsicherem Aufenthaltsstatus, Alltagsrassismus, Kulturclash, prekärer materieller Lage, Ansprüchen der Familie in der Heimat sowie eigenen großen Träumen und teils naiven Erwartungen an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Imbolo Mbue schildert diese Lebenslage, von der sich zweifellos vieles auf Migranten in Deutschland übertragen lässt, am Beispiel des Ehepaars Jende und Neni, die aus dem kamerunischen Limbe stammen – genauso übrigens wie die Autorin.

Ihnen, den Jendes, stellt Imbolo Mbue eine amerikanische Upperclass-Familie gegenüber: Investmentbanker Clark Edwards und seine Gattin Cindy – in der Upper East Side geografisch eigentlich ganz in der Nähe der Wohnung der Jendes in Harlem, soziokulturell jedoch auf einem anderen Planeten. Sie haben eher mit Problemen wie Überlastung an Verantwortung und Arbeit, moralischer Entfremdung vom Job, emotionaler Isolation und Selbstfindung zu kämpfen.

Jende Jonga ergattert eine Stelle als Chauffeur bei den Edwards, fährt den Manager zu Geschäftsterminen und Prostituierten, seine Ehefrau zum Shopping, zum Friseur und zum Wohltätigkeitsbrunch sowie den kleinen Sohn Mighty  zum Kindergeburtstag. Jende freut sich über seine relativ großzügige Entlohnung, die es ihm erlaubt, Geld in die Heimat zu schicken, das Studium seiner Frau zu finanzieren und noch etwas für den juristischen Kampf um eine Aufenthaltsgenehmigung zur Seite zu legen. Im Gegenzug nimmt er eine fast unterwürfige, aber doch auch ehrlich gemeinte Bewunderungshaltung gegenüber den Edwards und den USA überhaupt ein und behandelt alles, was er da im Auto an Gesprächen und Telefonaten mitbekommt, mit höchster Diskretion.

Mit routiniert wirkender Dramaturgie baut Imbolo Mbue erst eine Art Idyll auf, erlaubt ihren Figuren Träume und ein kleines Stück von Glück, lässt dann allmählich Risse in der harmonischen Szenerie entstehen und führt das Geschehen schließlich zum großen Knall und zum Wendepunkt hin zum Tragischen. Jede Familie erlebt ihr eigenes Waterloo: Clark Edwards Bank Lehman Brothers geht pleite und seine Ehe zu Bruch, Jende Jongas Asylantrag wird abgelehnt.

Ich habe das Lektüreerlebnis als zwiespältig empfunden. Man bangt mit den Jendes mit, doch vor einem muss man als Leser sicher keine Angst haben: Man wird bestimmt nicht überfordert – aber eben auch nicht überrascht. Imbolo Mbue weicht keinen Zentimeter vom Weg erzählerischer Konvention ab. Immerhin vermeidet sie die gröbsten Klischeefallen. Es gibt nicht die braven, armen Einwanderer auf der einen und die kalten, reichen Wall-Street-Snobs auf der anderen Seite. Jeder verhält sich mal moralisch mies, und für jeden hat die Autorin doch ein großes Herz. Diese Warmherzigkeit spricht für sie und den Roman. So hält sie das Interesse an den Figuren gerade eben so aufrecht. Echte Abgründe und psychologische Tiefe fehlen aber letztlich, und mancher Widerspruch in den Charakteren scheint mir nur unzureichend aufgelöst.

Sprachlich ist der Roman eine einzige Ödnis. Ein poetisches Bild oder ein gewitztes Gedankenspiel sucht man hier vergeblich. Humor gibt es, aber keine Ironie, keine Doppelbödigkeit. Während man annehmen kann, dass Imbolo Mbue im Original zwar ohne jede Eleganz, aber wenigstens flüssig und unfallfrei formuliert, zeichnet sich die Übersetzung  leider durch manche Holperigkeit durch Eins-zu-eins-Übernahme des englischen Duktus aus. Ganz befremdlich wird’s, wenn Nenis Freundin Fatou auf rätselhafte Art zu radebrechen beginnt. Ich nehme mal an, die Übersetzerin hat hier einfach kein überzeugendes Äquivalent für Pidgin-Englisch gefunden. Doch nur weil man grammatikalisch originelles, aber eben manchmal auch sehr schlagkräftiges Pidgin spricht, heißt das noch nicht, dass man sprachlich völlig minderbemittelt ist, wie es nun in der deutschen Version des Romans wirkt.

Authentisch und überzeugend ist Das geträumte Land in den kleinen Beobachtungen aus dem Leben eines kamerunischen Einwanderers in New York. Da schöpft die Autorin sichtlich aus dem eigenen Erfahrungsschatz und dem ihres Umfelds und ermöglicht dem Leser damit einen Perspektivwechsel. Das beginnt bei der Schilderung der afrikanischen Ess- und Kochgewohnheiten und endet bei den alltäglichen Kulturschocks, etwa wenn Neni mit sichtlichem Unverständnis und Unbehagen am rituellen Smalltalk bei einer westlichen Party in einer Bar teilnimmt oder aus allen Wolken fällt, als sie erfährt, dass ihr netter Mathematikdozent schwul ist.

Es ist gut, dass eine Migrantin hier ihre Stimme und Lebenswelt in die Literatur einbringt und offenbar ein breites Publikum anspricht – aber literarisch ist eben offenbar noch nicht ganz ihre eigene Stimme.

  • Imbolo Mbue, Das geträumte Land, Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Hummitzsch, Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 22 Euro.

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