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In den Romanen, die ich bisher von Richard Ford kenne, braucht er schon so seine 400, 500 Seiten und mehr, um eine Geschichte zu entfalten – kein Wunder bei seinem, sagen wir, gemächlichen Erzähltempo. Genau in dieser Langsamkeit, dem teils quälend genauen Blick auf das vermeintlich Unbedeutende, liegt für mich auch seine große Stärke. Wie funktioniert dieser raumgreifende Stil nun im kleineren Format von neun Erzählungen à circa 20 bis maximal 60 Seiten im neuen Band Irische Passagiere? Ich war gespannt. Und die Antwort ist: Ganz wunderbar.

Von der Kürze der Erzählungen darf man sich freilich ebenso wenig täuschen lassen wie davon, dass auf der Plotebene nicht sonderlich viel passiert: Sie sind auf einer unterschwelligen Ebene so inhaltsreich und dicht, dass ich nach 288 Seiten doch wieder das Gefühl habe, einen dicken Wälzer gelesen zu haben.

Ehen, die im Rückblick seltsam hohl wirken

Eine Nacherzählung der einzelnen literarischen Glanzstücke lohnt sich an dieser Stelle eigentlich kaum. Denn es ist nun wirklich nicht Richard Fords Art, irgendeine Form von Spannungsbogen aufzubauen oder die Handlung voranzupeitschen. Letztlich schildert jede Erzählung eine vielsagende Begebenheit im Leben ihres jeweiligen Protagonisten, die ein Schlaglicht wirft auf… tja, auch das ist meist gar nicht so plakativ zu beantworten.

Richard Fords Figuren befinden sich meist im reiferen Alter. Sie sind wohlsituiert, haben eine erfolgreiche berufliche Laufbahn vorzuweisen, könnten es sich im Leben gemütlich machen und zufrieden Bilanz ziehen. Und doch gibt es Risse. In ihrer offensichtlichsten Form treten sie in Gestalt gescheiterter Ehen zutage – obwohl auch das etwas ist, was sich verkraften lässt, wie sich Fords Figuren offenbar einreden. Mehrere Frauen und Männer in den Erzählungen sind auch verwitwet. Doch wenn sie – ebenso wie die, die weiter verheiratet sind – zurückblicken, wirkt so manche vermeintlich glückliche Ehe ebenfalls seltsam hohl, der Partner fremd. Die Teile haben sich nicht zu einem Ganzen zusammengefügt, es blieben schwelende Dissonanzen, unerfüllte Wünsche, bestenfalls ist man sich auf freundliche Art gleichgültig geworden.

Auch die Frau namens Happy ist nicht glücklich

Happy, die Titelfigur einer Erzählung mit einem so gar nicht zu ihrem galligen Naturell passenden Spitznamen, trifft ihren Lebensgefährten irgendwann nur noch sporadisch alle paar Wochen. Er wird unterdessen widerstandslos alt, verliert das Interesse am Treiben der Welt, lebt inaktiver und zurückgezogener – ohne Groll -, bis er stirbt. Eine Existenz verblasst, vom einst glanzvollen Leben des geselligen Intellektuellen, eines Lektors, bleibt ebenso wenig von Substanz wie von der von gefürchteten öffentlichen Streitereien geprägten Beziehung zu Happy. Sie, die als schwierig geltende Künstlerin, besucht nun zwei befreundete Paare – ein Kreis von Galeristen und Schriftstellern -, um sich „auszuweinen“. Doch es stellt sich letztlich nur ein Unwohlsein ob ihres Alkoholkonsums, ihrer unpassenden Bemerkungen und ihrer wild im Garten tobenden Hunde ein. Zu den angeblichen Lebens- und Geistesfreunden kommt keine Nähe auf. Übrig ist am Ende nur die Erinnerung an einen von den Hunden kaputtgebissenen Teppich und an einstige sexuelle Avancen im Suff.

Freundschaften, Affären, Ehen, Beruf: Fords Figuren schauen darauf zurück und erkennen – nichts von Bedeutung. Alles erschöpft sich in alltäglichen Handlungen und mehr oder weniger banalen Dialogen. Ford lässt uns inmitten all dessen spüren: Da möchte noch etwas raus aus den Menschen, sie wollen unter den Floskeln und dem Schweigen noch etwas sagen. Nur was? Sie wissen es ja selbst nicht, könnten nicht benennen, an welchem Punkt sie die richtige Abzweigung verpasst haben. Was wäre denn die Gelegenheit gewesen, sie sie nicht ergriffen haben? Was hat sie zu dieser Leere und Einsamkeit geführt, die sich vor ihnen auftut?

Zwischen Phrasen und Alltagsverrichtungen

Richard Ford ist ein großer Meister darin, die Tragik ungelebter Leben unter einer ruhigen, scheinbar unspektakulären Oberfläche erahnen zu lassen. Indem er nichts dramatisiert, trifft er den Leser umso tiefer. Er beobachtet sehr genau. Gesten, Phrasen, alltägliche Verrichtungen, kleine Reaktionen, nebenbei erwähnte Kleidungs- oder Schmuckstücke erzählen die Geschichten seiner Figuren, ohne dass er sie ausbuchstabieren müsste.

Etwas Geduld verlangt Ford seinen Lesern freilich ab. Mit biografischen Abrissen seiner Figuren ist hier – im Verhältnis zu den Romanen – auf weniger Raum zwar etwas mehr Handlung geboten, doch wer bei den Erzählungen auf eine Art von Pointe oder Auflösung wartet, wird zwangsläufig enttäuscht. Ja, schon: Einige Geschichten laufen nach längerer Vorbereitung auf eine Art von unerwartetem Ereignis zu. Ein Witwer, dessen krebskranke Frau Selbstmord begangen hat, lernt in einer Bar eine junge Frau kennen; ein gutmütiger Millionär begleitet seine Ex-Frau zu einem Besuch im Pflegeheim und wohnt dort dem Tod von deren Mutter bei; ein Amerikaner in Paris bekommt in der Nacht der Wahl von Bill Clinton von einem Republikaner eins auf die Nase; und die Geliebte eines verheirateten Mannes sperrt sich aus dem Hotelzimmer aus. Doch letztlich kommen diese Schlüsselmomente völlig unscheinbar daher. Ford überlässt es dem Leser, sie einzuordnen und zu bewerten – und für diese gedankenanregende Unaufdringlichkeit liebe ich ihn.

Ein vielschichtiges Portrait von New Orleans

Und auch für so fabelhafte Sätze, wie: „[…] meistens, wenn man weinte, hätte man schon früher weinen sollen“ (Seite 97); oder: „Er hatte nicht so schlechte Zähne wie manche Leute“ (Seite 115).

Nicht ganz klar geworden ist mir unterdessen, warum die deutsche Ausgabe dieses Spätwerks den Titel Irische Passagiere trägt. Bei mehreren Figuren wird zwar deren irische Abstammung erwähnt – und öfters ironisch mit Prädikaten wie wässrig-blauen Augen, blasser Haut und einer irgendwie bäurischen Motorik verbunden. Als markanter habe ich jedoch den wiederkehrenden Schauplatz New Orleans empfunden. Ford kreiert hier gewohnt unterschwellig eine dichte Atmosphäre in einem Spannungsfeld von Touristenfassade, sozialem Brennpunkt, Rassismus und der stets präsenten Katastrophe von Hurrikan Katrina im Hintergrund.

Der Originaltitel Sorry for your trouble passt da für mich besser. Menschen sehen als Resümee ihres Lebens in erster Linie die Notwendigkeit, sich floskelhaft für die entstandenen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Und deswegen ist es in ihrer komfortablen Welt oft mächtig unbequem.

Mit dem Buch beschäftigt hat sich auch der Blog LiteraturReich. Hier zeigt sich die Rezensentin allerdings eher enttäuscht von den Erzählungen. Zu der lesenswerten Besprechung geht’s hier.

  • Richard Ford, Irische Passagiere, Erzählungen, Aus dem Englischen von Frank Heibert, Hanser Berlin, 288 Seiten, 22 Euro.

3 Kommentare zu “Richard Ford, Irische Passagiere

  1. Lieber Herr Steppan, Herzlichen Dank auch für Ihre Buchbesprechungen von Büchern, die wir noch nicht gelesen haben. Die wirkt dann ganz anders. Ich überlege mir daher, Richard Ford nochmal näher zu treten. Für Ungeduldige ist er ja eine Prüfung. In Coronazeiten wirkt er vielleicht anders? Besinnliche Weihnachtstage und Freude bei Ihrer Arbeit im nächsten Jahr Bärbel Moritz

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    • Liebe Frau Moritz, also, meinen Geschmack hat Richard Ford auf alle Fälle getroffen. Vielleicht tatsächlich die richtige Lektüre für ruhige Feiertage, an denen man auch die nötige Konzentration aufbringt, die Erzählungen noch mehr als ein Roman erfordern. Herzliche Grüße und auch Ihnen ein schönes

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